Operation Pekinglawine
Als der KI-Winter schließlich über China hereinbricht, sickert eine neue Direktive aus den Amtsstellen der Kommunistischen Partei: Der digitale Überwachungsapparat ist vollendet und das Potenzial der Technologie damit realisiert. Der Wirtschaftssektor soll seine Ressourcen fortan auf andere Forschung konzentrieren.
Die Mehrheit der betroffenen Unternehmen vollzieht den Kurswechsel rasch und ohne Widerworte. Ausgerechnet J1n, einer der größten Roboterhersteller aus Shenzhen, stellt sich allerdings quer.
Der Ungehorsam des Industrieschwergewichts sorgt im Parteikabinett für rote Köpfe. In der Nacht vom 15. November rückt daher ein Strafkontingent aus, um den Konzern zu reintegrieren. Etwas anderes als voller Erfolg ist keine Option, weshalb den Polizeikräften paramilitärische Experten zur Seite gestellt werden. Diese Experten stammen jedoch nicht aus den Reihen der (maroden) Volksbefreiungsarmee, da deren (Teil-)Reaktivierung ein Loch in die Staatskasse gefressen hätte. Stattdessen handelt es sich um das Personal russischer Sicherheitsfirmen, mit langjähriger Erfahrung aus den Nahostkonflikten und buchbar in flexiblen Preismodellen.
Was die chinesische Regierung nicht weiß: Die Söldner haben bereits ein lukrativeres Angebot erhalten. Von niemand anderem als J1n.
Der Hersteller gehört einem Unternehmensverband an, der sich einem Regimewechsel verschrieben hat. Und am Konferenztisch jenes Geheimbundes sitzen nicht nur chinesische Konzerne, sondern auch namhafte Marken aus Indien und der EK. Mit ihrer enormen Kriegskasse hat die Allianz nahezu alle Sicherheitsfirmen auf dem eurasischen Kontinent unter Vertrag genommen.
Die geplante Machtdemonstration endet in einem Blutbad, als die Söldner die Seiten wechseln. Ihr Verrat ist der Auftakt zu einer landesweiten Übernahmeaktion (in späteren Quellen als Operation Pekinglawine bezeichnet). Zwei Stunden nach dem ersten Schusswechsel kollabiert das Stromnetz der Guangdong-Provinz.
In Peking hat derweil ein unvorsichtiger Infiltrationstrupp einen Sicherheitsalarm ausgelöst, wodurch sich auch die Hauptstadt zum Schlachtfeld wandelt. Drohnenangriffe machen aus den Festnahmeversuchen der örtlichen Polizei ein verzweifeltes Rückzugsgefecht, während MI-26 Hubschrauber mehr und mehr Kampftrupps in der Innenstadt abladen. Erstmals seit dem Zwischenfall von 1989 reissen Panzerraupen den Asphalt des Tian’anmen-Platzes auf.
Schon vor dem Morgengrauen hat Peking den Besitzer gewechselt (obwohl über die Identität der neuen Autorität lange Zeit Unklarheit herrscht). Die Mitglieder der Kommunistischen Partei, die es aus der Stadt geschafft haben, tauchen in den Untergrund ab.
Am Folgetag wird eine Pressemitteilung veröffentlicht, wonach »ein Bündnis tugendhafter Konzerne« das Land befreit hätte. Die ersten Volkswahlen des reformierten Staates werden auf die Woche vor dem chinesischen Neujahrsfest angesetzt (wobei die Kandidatenlisten von den HR-Abteilungen der Allianz erstellt wurden).